Kunst und Wein: zwei Welten treffen aufeinander.

Es gibt einen Wunsch den die Leute oft äussern, am Ende einer Führung. Nachdem man sich stundenlang abgerackert hat und von unsterblichen Kunst überfordert wurde, heisst es immer: und wo gibt es jetzt einen Spritzer? Italien ist ja der richtige Ort für Aperitif, der in der Regel aus einem Glas Wein und verschiedenen Snacks besteht. Am Ende einer anstrengenden und emotionalen Tour möchte man sich irgendwo hinsetzen, entspannen und in Gesellschaft etwas trinken. Vor einem Glas Prosecco oder Cesanese sitzend, je nach Geschmack, lässt man die Eindrücke auf sich wirken, spricht über das eben Erlebte und tauscht sich miteinander aus. Irgendwie geht das Erlebnis weiter, denn Wein trinken ist ja auch eine Sinneserfahrung. Wein betont den Geschmack der Dinge; es gibt sogar eine Art die Kontemplationswein genannt wird. In Italien gibt es rund 144 einheimische, oft antike Rebsorten aus denen unzählige gute und hervorragende Weine entstehen, in Reinheit hergestellt oder durch Verschnitt aus mehreren Sorten (Bordeaux-Art). Anders ausgedrückt: Sie haben die Qual der Wahl.

In der heutigen Zeit ist ein guter Wein vor allem ein Symbol für Genuss, Lebensfreude und Austausch. Was dieses Getränk verführerisch macht, ist der Rausch, den er auslöst und zu mehr Freiheit und Unbefangenheit im Verhalten führt. Eine Faszination, deren Wurzeln weit in die Vergangenheit reichen. Bereits zur Zeit der Griechen und Römer wurde bei Bacchanalen Wein konsumiert, so dass die damit verbundene Euphorie Männer und Frauen über mehrere Tage hinweg zu unbändigem Sexualverhalten und grausamen Ritualmorden verleitete. Während der gesamten Dauer der Feier wurden Gesetze und Hemmungen außer Kraft gesetzt, so dass die Veranstaltung in Rom anschliessend verboten wurde. Diese Riten zelebrierten Dionysos, der Gott der Lebenskraft, das Urelement des Kosmos, der fieberhafte, durchdringende Strom des Lebens. In der Tat hatten diese Rituale eine günstig stimmende Funktion und wurden anlässlich der Aussaat und der Ernte durchgeführt. Dionysos verkörpert den uranfänglichen, instinktiven Funken, der in jedem Lebewesen vorhanden ist. Schon in der griechischen Welt waren dionysische Bräuche ziemlich wild. Ursprünglich waren nur Frauen involviert, die Bacchantinnen, die angeblich durch die Wälder streiften um Rehe zu zerreißen und auf der Stelle zu verschlingen, währenddem sie ungezügelt tanzten und sangen.

Es gibt ein wunderbares Gemälde von Caravaggio das den Weingott so darstellt, wie es kein anderer getan hat. Während sein Aufenthalt in Rom Ende des 16. Jahrhunderts, malte Caravaggio im Auftrag von Kardinal Francesco Maria del Monte ein Bacchus für Großherzog Ferdinand I. de' Medici. Das Gemälde wurde jahrhundertelang in der historischen Villa d'Artimino, im toskanischen Weinbaugebiet Carmignano, ausgestellt. Es zeigt uns die Essenz des epikureischen Genusses, auf den Punkt gebracht: ein junger,  verführerischer Weingott schaut uns direkt in die Augen, bietet uns ein Glas Chianti an und lädt uns ein, an seinen Tisch zu kommen. Details die uns den Atem rauben sind das Stillleben im Vordergrund und die Krone aus Weinblätter auf dem Kopf des Gottes, gemalt mit dem Einsatz von Caravaggios berühmten, realistisches Licht. An der Seite befindet sich ein Glaskrug mit dem restlichen Wein und, versteckt in der Lichtsreflexion, ein Selbstporträt des Künstlers.

Kein anderes Gemälde in der italienischen Kunstgeschichte kann die atavistische und tiefe Bindung zwischen Kunst und Wein besser illustrieren als dieses. Caravaggios Kunst ist modern weil sie den Betrachter anspricht, indem sie sich der Sinne bedient. Seine Bilder sind in erster Linie eine physische und emotionale Erfahrung, die erst später intellektuell wird. Der erste einbezogene Sinn ist das Sehen und zwar durch die Leuchtkraft der Ölfarben. Unsere Emotionen werden ausgelöst als wir das Zusammenspiel der herbstlichen Erdfarben der Blätter betrachten, mit ihrem letzten Hauch von Sommer. In gleicher Weise nehmen wir die Nuancen eines Sangiovese im Weinglas wahr und versuchen mit unserem Geruchssinn seine würzige und Unterholzaromen zu erahnen, sowie die von reifen Früchten. Vermutlich dieselben Früchten die wir imÖlbild auf dem Tisch vor dem Gott sehen; wir haben fast das Gefühl sie anfassen zu können, so überzeugend ist sie gemalt.

Im 17. Jahrhundert erhält in Rom das Thema des Stilllebens eine philosophische Bedeutung, gerade durch das Werk Caravaggios und der damals in der Hauptstadt tätigen nordeuropäischen Künstler. Diese Darstellungen entwickeln sich in Metaphern des Lebens bezüglich dessen Vergänglichkeit. Eine visuelle Repräsentation des biblischen vanitas vanitatum et omnia vanitas (Eitelkeit der Eitelkeit und alles ist eitel, blosser Schein) und des katholischen memento mori (Bedenke, dass du stirbst). Da fällt mir ein Geschehnis ein das sich einige Jahrzehnte zuvor ereignete: während seines Pontifikats bestätigte Paul III. Farnese den Auftrag von Michelangelo Buonarroti für das Jüngste Gericht in der Sixtinischen Kapelle und betraute mehr oder weniger gleichzeitig seinen Kellermeister Sante Lancerio mit der Erstellung des vermutlich ersten Weinführers Italiens, dessen Titel ist "Della natura dei vini e dei Viaggi di Paolo III" (Über die Natur der Weine und die Reisen von Paul III.). Das weist auf eine über die Endzeit nachdenkende Weltanschauung, die gleichzeitig auch das edle Aroma der Gegenwart geniesst, eng verwoben mit dem römischen Katholizismus dieser Zeit.

Prächtige Beispiele dieser Kunstrichtung sind die späteren Stillleben des deutschen Maler Christian Berentz, die man in der Galleria Corsini in Trastevere bewundern kann. Wenn wir das Bild Lo spuntino elegante (Der elegante Imbiss) genauer betrachten, erfahren wir dass die heutige Vorstellung von Aperitif nichts Neues ist. Auf einem eleganten Porzellanteller sind handgeschnittene Salami und Schinken arrangiert, begleitet von frischem, handgebrochenem Brot. Daneben stehen auf einem Silbertablett zwei Krüge und ein paar kostbare Kristallkelche, mit Weiß- und Rotwein gefüllt, vielleicht Frascati und Lambrusco. Der Kontrast zwischen raffiniertes Besteck, Muranoglas, vergoldete Schnupftabakdose und simples Essen betont den Realismus und die Virtuosität des Malers. Der Höhepunkt wird in der halbierten, etwas vertrockneten Orange erreicht, sowie in der Ecke des Holztisches die von der verschobenen Tischdecke entblösst wird. Was sich hier abspiegelt ist einer der vielen, gewöhnlichen Augenblicke des Alltags, den man kristallisieren will um die Illusion zu vermitteln, die Zeit könne man anhalten. Die Szene wurde bewusst nicht frontal dargestellt, gerade um die Unsicherheit des Daseins wiederzugeben und dessen ständige Entwicklung in mehr oder weniger bedeutende Momente. Ebenso in der Natura Morta con Savoiardi (Stillleben mit Löffelbiskuits), auch bekannt als La Mosca (Die Fliege), wird der Versuch die Zeit zu verewigen einem Insekt anvertraut. Die Fliege ist auf einem der Kekse gelandet und erinnert uns daran, dass der Genuss vorübergehend ist und wir sollten einfach Gefallen daran finden.

Jedes Mal, wenn ich vor diesem herrlichen Gemälden stehe, überlege ich, dass der Wein in den Kelchen süß gewesen sein muss. Erst im 19. Jahrhundert wurde in Frankreich, in der Provinz Bordeaux, die Gärungstechnik perfektioniert die uns berühmte, ausschliesslich trockene Rotweine bescherte, die in der ganzen Welt als Inspiration dienten und dazu beitrugen, den heutigen Geschmack zu prägen. Barolo, Chianti, Amarone, so wie sie heute sind, gäbe es nicht wenn Juliette Colbert, eine französische Aristokratin die in 1806 den Marquis Falletti di Barolo heiratete, nicht ihren vertrauten Önologen ins Piemont gebracht hätte, weil sie von den italienischen Weinen, die sie zu süß fand, entsetzt war. Lange Zeit wurde in Europa also ein ganz anderer Wein getrunken als der, den wir heute kennen.

Im Laufe der Jahrhunderte hat sich Wein seinen raffinierten Charakter  erhalten sowie, wenn auch verändert, die befreiende Kraft seines Rausches, schon in der Antike als heilig betrachtet und in gewissem Maße auch in der christlichen Welt (Eucharistie). Wein ist durchaus der Nektar der Götter, da er selbst ein Kunstwerk ist. Als Ergebnis harter, menschlicher Arbeit und eines komplexen Erstellen repräsentiert Wein den Lohn aller Mühen und Leiden. Wein vereint Adlige und Bauer in ihrem Streben nach Glück, das immer nur vorübergehend und flüchtig ist. Er hebt den Geist und löst die Zunge, so dass man die Hemmungen bis auf der letzten aufgibt, also bis zur Wahrheit. In vino veritas heißt es in einem alten Sprichwort, oder um Horaz zu zitieren: "Der Rausch zeigt verborgene Dinge". Es handelt sich also um eine Suche, die in keiner Weise anders ist als die des Künstlers, der nach Schönheit in ihrer tiefsten Bedeutung strebt, d.h. nach der Harmonie die das Verhältnis zwischen Mensch und Welt bestimmt. Die Farben eines Gemäldes werden allgemein mit Begriffen wie Glanz, Lebhaftigkeit, Fülle und Transparenz beschrieben (man denke an die Lasuren von Leonardo da Vinci), also mit demselben Wortschatz das man bei einer Weinprobe verwendet. In einem Gemälde als auch in einem Glas Wein finden wir eine enorme Durchschlagskraft, von Eindrücken verursacht die in der Erinnerung nachhallen. Übrigens besitzt der Weinstock, mit seinen kletternden Zweigen und eleganten gezackten Blätter, einen eigenen ästhetischen Wert und abgesehen von seiner Symbolik, ist er unglaublich beliebt in den Motiven der altrömischen Mosaiken, Sarkophagen und in den Fresken der Katakomben.

Doch damit nicht genug: Wein und italienische Kunst haben etwas gemeinsam das vielleicht sogar noch intimer ist als die Verfolgung der Schönheit, und zwar die Landschaft. Italienische Fresken sind reich an Ansichten gepflegter Weinberge, die im Mittelalter die tüchtige Verwaltung der Kommunen symbolisch darstellten. Es ist kein Zufall, dass große Weinproduzenten oft auch bedeutende Kunstsammler sind. Ausserdem stammen oft berühmte Künstler aus Gebieten die für ihren Wein auch bekannt sind. Kunst und Wein teilen eben eine geografische, fast physische Identität, die ein jahrhundertelanges kultureller Prozess in einen völlig übereinstimmendes Gesichtspunkt verwandelt. Jedoch, was ist das für eine Hinsicht? Auf den ersten Blick scheint es das horatianische carpe diem (Nutze den Tag) zu sein, das auch Lorenzo der Prächtige Ende des 15. Jahrhunderts in seinem Gedicht Der Triumph von Bacchus und Ariadne zum Ausdruck brachte:

Quant’è bella giovinezza

Che si fugge tuttavia

Chi vuol esser lieto sia

Del doman non v’è certezza

 

(Schön ist die Jugend

Die so bald endete

Wer glücklich sein will, sei es

Es gibt keine Gewissheit von morgen)

 

Anders gesagt eine Ermahnung den Augenblick zu genießen, denn nichts ist im Leben sicher, vorhersehbar, dauerhaft. Freuen wir uns über die Schönheit, die Liebe und die Sinne solange es sie gibt, denn sie sind vergänglich und niemand weiß was morgen geschehen wird.

Meiner Meinung nach steckt jedoch mehr dahinter; eher ein Aussichtspunkt als eine bestimmte Einstellung. Ein Schlüsselloch wodurch wir blicken und intensive Eindrücke verspüren, die sowohl mit der Gegenwart als auch mit dessen Verherrlichung verbunden sind. Als wir unsere Sinnesreise weiter fortsetzen, sei es durch ein Gemälde oder ein Glas Wein, leiten uns die Empfindungen allmählich zurück in vergangene, vernetzte Welten. Unsere persönliche, durch Sinneswahrnehmungen erweckte Erinnerungen verschmelzen mit dem Echo alter Glaubensvorstellungen und Lebensweisen, die zurückgerufen werden. Das Ergebnis ist eine gründliche Aufwertung des Genusses, nicht mehr flüchtig und vorübergehend sondern nach und nach reicher, unterschiedlich und anhaltend. Daher ist es die Kenntnis der es gelingt die Zeit anzuhalten, zumindest in unserer Vorstellung. All dies wurde bereits in der Antike erahnt. Epikur sagt: "Ich kann mir nicht vorstellen, was das Gute ist, wenn ich die Freuden des Geschmacks, der Liebe, des Gehörs, der Sicht und überhaupt alle Freuden, die der Mensch durch die Sinne hat, außer Acht lasse. Es ist nicht wahr, dass nur die Freude des Geistes gut ist; denn der Geist freut sich in der Hoffnung auf sinnliche Freuden, in deren Genuss sich die menschliche Natur vom Schmerz befreien kann".

5. Giuseppe Arcimboldo, Herbst, 1573, Louvre Museum, Paris.

Ich schließe mit Arcimboldos seltsamen Darstellung Herbst, ein Werk das besser als tausend Worte die innige Beziehung zwischen Mensch, Wein und Landwirtschaft illustriert. Im Profil dargestellt sehen wir eine menschenähnliche Figur aus saisonalem Gemüse und Obst zusammengesetzt, wie Kartoffeln, Kohl, Pilze, mit einem deutlichen Übergewicht an Trauben. Die Büste besteht aus einem Fass, das auf der Zeit der Weinlese hinweist. Dieses merkwürdige Bildnis erinnert an eine Landwirtschafts-Gottheit und unterstreicht die uralte Bindung zwischen Mensch und Jahreszeiten, als auch die damit verbundene Ritualen wie z.B. die Weinlese, die im Laufe der Jahrhunderte weiterhin wichtig bleibt, wahrscheinlich weil die Bedürfnisse des Menschen unverändert geblieben sind. Der Weinstock ist seit jeher eine Metapher für die Existenz, wegen seinen langen Wurzeln die die Zugehörigkeit zurückrufen, aber auch und vor allem für die Vorstellung von harter Arbeit, auf die eine wohlverdiente Belohnung folgt.

Mediagraphie:

  1. Commonists (2021), Bacchus by Caravaggio, public domain, January 17, 2023.

  2. Web Gallery of Art, Elegant snack by Christian Berentz, public domain, November 12, 2022.

  3. Web Gallery of Art, Still life with Crystal Glasses and Sponge Cakes by Christian Berentz, public domain, January 17, 2023.

  4. http://members.tripod.com/dianapitocco/I%20Mesi.htm, October by Maestro Venceslao, public domain, November 15, 2022.

  5. Arcomboldo, Giuseppe (1573), Autumn, public domain, January 17, 2023.

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